Studie: Produktion von klimaneutralem Kunststoff ist wirtschaftlich möglich

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Neues ganzheitliches Konzept von Plastikproduktion und -entsorgung bringt Netto-Null-THG-Emissionen

Mittels einer innovativen Kombination der drei bereits entwickelten Technologien Recycling, Biomassenutzung und Kohlenstoffabscheidung bzw. -nutzung (CCU) kann Kunststoff zugleich wirtschaftlich und klimaneutral hergestellt werden. Dies hat ein internationales Forscherteam von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und der University of California Santa Barbara jetzt in einer neuen Studie nachgewiesen. Demnach ist es mit dem neuen ganzheitlichen Modell von Plastikproduktion und -entsorgung möglich, Kunststoffe zu nutzen, ohne dass dabei Emissionen von Treibhausgasen (THG) anfallen. Somit würden sogenannte Netto-Null-THG-Emissionen von Kunststoffen erreicht, teilten die Wissenschaftler hierzu mit. 

Netto-Null bedeutet, dass alle von Menschen verursachten THG-Emissionen wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. So ergibt sich dann die Klimabilanz Null, wie Raoul Meys vom Lehrstuhl für Technische Thermodynamik der RWTH Aachen und Professor André Bardow vom Lehrstuhl für Energie- und Prozesssystemtechnik der ETH Zürich und ehemals RWTH erläutern. Laut ihren Studienergebnissen lassen sich durch die Verwendung der drei Kreislauftechnologien Recycling, Biomassenutzung sowie Kohlenstoffabscheidung und -nutzung Netto-Null-Emissionen für Kunststoff erreichen. 

Dekarbonisierung von der Ölförderung bis zur Kunststoffproduktion

Konkret gehört zu dem Konzept der Forscher zum einen die sogenannte Dekarbonisierung der Energieversorgung in der Kunststofflieferkette, also die Umstellung auf Prozesse mit möglichst geringer Freisetzung von Kohlendioxid (CO2), und zwar von der Ölförderung bis zur Kunststoffproduktion. Dabei setzt die Strategie der Wissenschaftler auf einen Ersatz der Zufuhr fossiler Kohlenstoffe (Carbon Inputs), sprich Erdöl für die Herstellung von Kunststoffen, durch die geschlossenen Kreislauftechnologien chemisches und mechanisches Recycling, durch die Nutzung von Biomasse sowie durch Kohlenstoffabscheidung und -nutzung.

Mit der chemischen und mechanischen Verwertung von Kunststoffabfällen lassen sich Primärmaterialien ersetzen und so Ressourcen einsparen. Aus nachwachsenden Rohstoffen, wie Mais, Stärke oder Zucker, können sogenannte biobasierte Kunststoffe hergestellt werden. Da diese Produktion jedoch in Konkurrenz zur Erzeugung von Nahrungsmitteln steht, kommt die Herstellung von Biokunststoffen auf Basis von Reststoffen, etwa aus der Landwirtschaft, zunehmend in den Fokus. 

Die Kohlenstoffabscheidung und -verwertung (CCU - Carbon Capture and Utilization) bezeichnet man auch als CO2-Recycling. Bei diesem Verfahren wird das Kohlenstoffdioxid aus Abgasen entfernt und anschließend für andere – z. B. energetische oder chemische – Prozesse wiederverwendet. Diese erneute Nutzung des abgeschiedenen Kohlenstoffs bedeutet nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Verminderung von Kohlenstoffemissionen, sondern kann auch die Produktivität industrieller Prozesse maßgeblich steigern.

Möglichst hoher Anteil von rezykliertem Kunststoff

Wie die Forscher als Ergebnis ihrer Studie weiter bekannt gaben, liegt der Schlüssel für eine wirtschaftliche Herstellung von klimaneutralem Kunststoff in einem möglichst hohen Anteil von rezyklierten Kunststoff – ergänzt durch die anderen erwähnten Herstellungspfade. Diese Produktion entspreche dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft, heben die Verfasser der Studie hervor. Nach ihren Angaben kann durch eine optimale Kombination der drei Herstellungswege der Energiebedarf von klimaneutralem Kunststoff, gemessen an einem alternativen Herstellungsweg, um 34 bis 53 Prozent gesenkt werden. Bei dem alternativen Herstellungsweg handelt es sich demnach um die heutige Herstellungspraxis von Kunststoff aus fossilen Rohstoffen - ergänzt um umfangreiche Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage - CCS) insbesondere in den Müllverbrennungsanlagen, wo die Kunststoffprodukte am Ende ihres Lebenszyklus verbrannt werden.

Die Kosten des neu vorgeschlagenen Herstellungswegs sehen die Forscher in der gleichen Größenordnung wie bei dem alternativen fossilen Herstellungsszenario. Damit nicht genug: Unter vorteilhaften Bedingungen könnten im Jahr 2050 die Kosten der weltweiten Kunststoffproduktion im Vergleich mit dem alternativen Szenario sogar um 288 Milliarden US-Dollar pro Jahr reduziert werden, stellt das Wissenschaftlerteam in Aussicht. Hierzu müssten dann allerdings Biomasse, CO2 und erneuerbarer Strom kostengünstig zur Verfügung stehen. Außerdem gehören zu dem Kostensenkungsszenario, dass sich die Förderung und Bereitstellung von Erdöl verteuert sowie Investitionsanreize für das Recycling gesetzt werden. 

Herstellungspfade nicht einzeln denken

Mit ihrem Modell sei eine wirtschaftliche Herstellung von Kunststoffen möglich, die über ihren gesamten Lebenszyklus eine Nettobilanz der Treibhausgas-Emissionen von null aufweisen, betonen die an der Studie beteiligten Wissenschaftler. Sie appellieren daher an die Politik, den Weg zu klimaneutralen Kunststoffen zu fördern durch Anreize für mehr Kunststoffrecycling und eine erhöhte Nutzung von Biomasse und CCU. „Wir sollten die verschiedenen Herstellungspfade von Kunststoff nicht einzeln denken, denn in ihrer geschickten Kombination liegt ein großes Potenzial“, fasst ETH-Professor Bardow zusammen.

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