Nachhaltiger Konsum: Absicht und Verhalten in der Realität oft nicht kongruent

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Studien bescheinigen Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit Glaubwürdigkeitsdefizit

Nachhaltig konsumieren – das wollen viele. Doch was genau ist darunter zu verstehen und wie geht das? Diese Fragen stellen sich zahlreiche Verbraucher, die verantwortungsbewusster konsumieren wollen. „Nachhaltiger Konsum bedeutet, heute so zu konsumieren, dass sowohl heutige als auch zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse erfüllen können und dabei die Belastbarkeitsgrenzen der Erde nicht gefährdet werden.“ So definiert das von der Bundesregierung 2017 ins Leben gerufene Kompetenzzentrum Nachhaltiger Konsum (KNK) im Umweltbundesamt (UBA) eben jenes Verhalten. Demnach findet nachhaltiges Konsumieren von Produkten und Dienstleistungen in einem Spannungsfeld zwischen der Befriedigung von Bedürfnissen wie Essen, Wohnen, Mobilität und Unterhaltung sowie der Entfaltung individueller Lebensformen einerseits und dem Einfluss dieses Verhaltens auf den Zustand der Umwelt statt. 

Die Spuren, die aktuelle Konsummuster weltweit hinterlassen, werden laut UBA unter anderem in Form von prekären Arbeits- und Lebenssituationen in manchen Produktionsorten, im Klimawandel, im Artensterben oder auch in Form von Plastikmüll-Inseln in den Kontinenten sichtbar. Dementsprechend wird nachhaltiges Konsumieren immer wieder zum Gebot der Stunde erklärt. 

Doch wie verinnerlichen nun die Konsumentinnen und Konsumenten diese Forderung? Dieser Frage ist das Marktforschungsunternehmen Kantar nachgegangen und hat dazu Menschen weltweit befragt. Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung: Die größte Hürde auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit bleibt die mangelnde Konsistenz zwischen der Einstellung und den Kaufentscheidungen von Verbrauchern. Dieser „Value-Action-Gap” sei eine zentrale Hürde auf dem Weg zu nachhaltigem Konsum, befinden die Marktforscher. Als “Value-Action-Gap” wird das Phänomen bezeichnet, das sich als Lücke oder Widerspruch zwischen einem Wertesystem einerseits und konkretem Handeln andererseits auftut. 

Konsumverhalten widerspricht Überzeugungen

Politik und gesellschaftliche Initiativen hätten weltweit das Bewusstsein für die Klimakrise geschärft, erläutert Petra Dittrich, Senior Director Sustainability Transformation Practice bei Kantar. Doch dieser Einsicht folgten bedauerlicherweise nicht immer auch die entsprechenden Taten: „Denn die meisten Menschen widersprechen mit ihrem Konsumverhalten den eigenen Überzeugungen,“ erklärt Dittrich. Will sagen: Zwar erklärt sich jede/r zweite Befragte in der Studie grundsätzlich bereit, Produkte nachhaltiger Marken zu kaufen, doch weitaus weniger handeln auch entsprechend. 

Als eindrückliche Beispiele für wenig nachhaltigen Konsum führen die Verfasser der Kantar-Studie unter anderem die Vorliebe für Fleischgerichte an: In der internationalen Befragung gaben 72 Prozent der Teilnehmer eben diesen den Vorzug vor vegetarischen Alternativen. Auch die Wiederverwendung von Waren sei noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen, heißt es weiter, weil 70 Prozent der Befragten neue Artikel gegenüber Second-Hand-Waren präferieren. Und 69 Prozent kaufen demnach lieber verpackte Produkte, als einen eigenen Behälter zum Einkauf mitzubringen. Das weltweit auftretende “Value-Action-Gap”-Phänomen fand sich laut Kantar auch in den deutschen Studiendaten wieder.

Dennoch legen die meisten Verbraucher großen Wert auf Nachhaltigkeit, wie die Studie „No Planet B“ von Oracle und dem Marktforschungsinstitut Savanta zeigt. Demnach fordern Menschen auf der ganzen Welt mehr Fortschritte in Bezug auf Nachhaltigkeits- und soziale Bemühungen. Sie erwarten von Unternehmen, dass sie sich dafür verstärkt engagieren. In der Studie gaben jedoch auch mehr als Dreiviertel aller befragten Verbraucher an, von den Bemühungen der Unternehmen um Corporate Social Responsibility (kurz CSR – gesellschaftliche Verantwortung) enttäuscht zu sein. Diese Konsumenten seien bereit, ihre Beziehung zu einer Marke, die Nachhaltigkeit und soziale Initiativen nicht ernst nimmt, zu beenden, erläutern die Autoren der Untersuchung. Und über die Hälfte aller Befragten würde demnach ihren Arbeitgeber zugunsten eines ambitionierteren Konkurrenten verlassen, wenn er sich nicht für Nachhaltigkeit engagiert.

Mangelnde Fortschritte

In der Umfrage beklagen die Teilnehmer, sowohl global als auch in Deutschland, mangelnden Fortschritt der Gesellschaft in den Bereichen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung. Die Mehrheit von ihnen verlangt insbesondere von Unternehmen, ihre Worte in Taten umzusetzen. Konkret in Deutschland bezeichnen 90 Prozent der Befragten Nachhaltigkeits- und soziale Faktoren als wichtiger denn je und 74 Prozent gaben an, dass die Ereignisse der letzten zwei Jahre sie veranlasst hätten, ihr Verhalten zu ändern.

93 Prozent der Studienteilnehmer sind zudem der Meinung, dass die Gesellschaft nicht genug Fortschritte in Bezug auf Nachhaltigkeit gemacht habe. 41 Prozent führen dies darauf zurück, dass die Menschen zu sehr mit anderen Prioritäten beschäftigt sind. 39 Prozent halten die Menschen hingegen ganz allgemein für zu faul oder zu egoistisch, dabei zu helfen, den Planeten zu retten. Und 30 Prozent glauben, dass der mangelnde Fortschritt von einer stärkeren Betonung kurzfristiger Gewinne gegenüber langfristigen Vorteilen herrührt.

Für 35 Prozent der Befragten haben Unternehmen die besseren Voraussetzungen dafür, sinnvollere Veränderungen in Bezug auf Nachhaltigkeits- und soziale Faktoren vornehmen zu können als Einzelpersonen oder Regierungen. Allerdings bemängeln auch 77 Prozent der Studienteilnehmer zu geringe Fortschritte von Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit und 89 Prozent wollen, dass Betriebe nicht nur ihre Ziele im Hinblick auf Umwelt, Soziales und Governance (ESG) kommunizieren, sondern auch entsprechende Taten folgen lassen und Nachweise führen.

Wie gering ganz allgemein das Vertrauen von Konsumenten in die Aussagen der Hersteller zur Nachhaltigkeit ihrer Produkte ist, verdeutlicht eine andere Studie zum Thema Konsum und Klimawandel. Die „CSR-KOMPASS Studie zum Konsum-Klimawandel 2022“, die von dem Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Smartcon in Kooperation mit der CSR-Beratungsagentur Keßler durchgeführt wurde, ergab nämlich, dass 80 Prozent der befragten Verbraucher die Herstelleraussagen zur Nachhaltigkeit kritisch sehen. Dabei fällt auf, dass die Konsumenten mit zunehmendem Alter – und größerer Lebenserfahrung? – den Aussagen der Hersteller immer weniger vertrauen: Bei den 18-29-Jährigen sind es noch 27 Prozent, bei den 50-65-Jährigen nur noch 14 Prozent. 

Kein Vertrauen in Nachhaltigkeitsaussagen

„Die Studie zeigt, dass nur wenige ein grundsätzliches Vertrauen in die Aussagen der Hersteller zur Nachhaltigkeit ihrer Produkte haben“, fasst Johannes Keßler, Geschäftsführer der Keßler Kommunikationsberatung und Mitinitiator der Studie, deren Ergebnisse zusammen. Demnach haben als sogenannte Testimonials Freunde bzw. Familie die größte Glaubwürdigkeit, gefolgt von Verbraucherschutzorganisationen, staatlichen Stellen, NGOs und Zertifizierungsorganisationen. Die Skeptiker vertrauen laut dieser Untersuchung den öffentlich-rechtlichen Sendern von allen Medien am meisten – gefolgt, mit einigem Abstand, von den Sozialen Medien. Politiker und Influencer sind für die Meinungsbildung zur Nachhaltigkeit von Produkten dagegen eher unwichtig. Und noch einen interessanten Aspekt brachte die Untersuchung ans Licht: Mittelständische und inhabergeführte deutsche Unternehmen bekommen von den Konsumenten beim Thema Nachhaltigkeit einen deutlichen Glaubwürdigkeitsvorschuss eingeräumt im Vergleich mit großen Unternehmen und globalen Konzernen.

Unterm Strich machen die genannten Studien deutlich, dass die Verbraucher zum einen beim Themenfeld Nachhaltigkeit zwar bester Absicht sind, diese jedoch – wie so häufig – im Alltag auf der Strecke bleibt. Und zum anderen zweifeln viele Verbraucher an der Glaubwürdigkeit der (Werbe-)Aussagen vieler Unternehmen in Bezug auf eigene Nachhaltigkeitsbemühungen. So bleibt als Fazit: Es gibt allenthalben noch viel zu tun, bis nachhaltiger Konsum sich in der Praxis durchsetzt.

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