Mehrweglösungen bei Kunststoffverpackungen können Kreislaufwirtschaft voranbringen

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Fraunhofer-Studie: Dafür fehlen klare politische Vorgaben

Auch für Kunststoffverpackungen gilt: Mehrweg ist Einweg in nahezu allen Belangen überlegen. Das unterstreicht eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) und des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) im Auftrag der Stiftung Initiative Mehrweg (SIM) zum Thema „Kunststoffbasierte Mehrwegsysteme in der Circular Economy“. Darin verglichen die Forscher drei kunststoffbasierte Mehrwegsysteme mit ihren Einwegalternativen. Ergebnis: Mehrweg schlägt Einweg in 14 der 17 untersuchten Kategorien und bietet ein großes Potenzial zum Gelingen einer Kreislaufwirtschaft. Dafür fehlen allerdings noch klare politische Rahmenbedingungen und die Umsetzung der bestehenden Abfallhierarchie, die Mehrweg eigentlich priorisiert, monieren die Wissenschaftler.

Nicht zuletzt mit diesen systemischen Defiziten begründen die Fraunhofer-Institute ihre Studie. Hierzu heben sie hervor, dass im europäischen und deutschen Abfallrecht die Abfallhierarchie eine besondere Rolle spielt. Denn sie definiert eine Rangfolge bei der Erzeugung und dem Umgang mit Abfällen, eine sogenannte Abfallhierarchie. Eine solche Struktur ist aus Sicht der Wissenschaftler aber nur dann sinnvoll, wenn mit den Praktiken, die einer Stufe zugeordnet werden, Vorteile gegenüber den Praktiken der nachgeordneten Stufen verbunden sind. Insofern priorisiere die Abfallhierarchie die wahrscheinlich sinnvolleren über die weniger sinnvollen Optionen, folgern die Fraunhofer-Institute. 

Konkret bezogen auf Verpackungen stellt somit aus Sicht von Kreislaufwirtschaftsgesetz und europäischer Abfallrahmenrichtlinie die Mehrfachnutzung von Verpackungen eine wichtige Strategie zur Abfallvermeidung dar und rangiert daher auf der obersten Stufe der Abfallhierarchie. Das Recycling ist dem nachgelagert und rangiert erst auf der dritten Stufe. Dies sei auch insofern verständlich, da sich eine mehrfach genutzte Verpackung zwar am Lebensende noch rezyklieren lasse, nicht aber umgekehrt, kommentieren die Forscher.

Primat der Mehrfachnutzung

Und hier setzt ihre Kritik an: Trotz der Tatsache, dass der Mehrfachnutzung also eigentlich ein Primat zufallen sollte, werde sie in nachgeordneten Verordnungen, Richtlinien, bis hin zu Normen und Umweltzeichen, im besten Fall als Alternative erwähnt, bemängeln die Verfasser der Studie. Zudem werde diese Alternative häufig auch noch auf bestimmte Anwendungsbereiche beschränkt. Sofern das Primat des Mehrweg etwa in Quoten einfließt, findet nach Einschätzung der Fraunhofer-Forscher bisher keine angemessene Umsetzung der regulatorischen Vorgaben statt.

Sie analysierten für die Studie drei wichtige Mehrwegsysteme in Form der drei Anwendungsbeispiele Obst- und Gemüsesteigen, wie sie bereits im Handel etabliert sind, Pflanzentrays und Coffee-to-go-Becher. Die Trays befinden sich derzeit in der Vorbereitung für einen großflächigen Einsatz, die Coffee-to-go-Becher in der Einführungsphase. Diese Mehrwegsysteme wurden mit den jeweils entsprechenden Einweglösungen in den drei Bereichen Zirkularität, Performance und Nachhaltigkeit in insgesamt 17 Unterkategorien verglichen. Resultat: Mehrweg bietet für alle drei untersuchten Demonstratoren klare Vorteile – von der Materialeffizienz über geringere Kunststoffemissionen bis hin zu einem besseren Produktschutz durch robustere Ausführungen.

Downcycling dominiert

Wie wichtig eindeutige politische Rahmenbedingungen und die Umsetzung der bestehenden, Mehrweg priorisierenden Abfallhierarchie sind, verdeutlichen die Fraunhofer Institute an folgenden Fakten: Lediglich 13 Prozent der in Deutschland produzierten Kunststoffe werden demnach aus Rezyklaten hergestellt, im Verpackungsbereich sind es sogar nur 11 Prozent. Außerdem wird nur ein sehr geringer Teil für den ursprünglichen Zweck wiederverwendet. Stattdessen dominieren in der Regel Kaskadennutzungen in Form von Downcycling. Gleichzeitig ist Deutschland einer der größten Exporteure von Plastikmüll weltweit, wie die Forscher feststellen. Als Reaktion auf diese Problematik haben EU und Bundesregierung die Produktion einiger Einwegplastikprodukte verboten und für PET-Getränkeflaschen eine Rezyklatquote vorgeschrieben. Zudem wurde Anfang 2022 die Pfandpflicht für Einweggetränkeflaschen auf sämtliche Getränkearten ausgeweitet. 

Aus Sicht der Wissenschaftler gehen das „Green Deal“-Konzept der EU-Kommission zum Erreichen von Klimaneutralität in der Union und die sogenannte Taxonomie-Verordnung der EU, die Kriterien für ökologisch nachhaltiges Wirtschaften festlegt, grundsätzlich in die richtige Richtung. Allerdings kritisieren die Verfasser der Studie ebenfalls, dass die im europäischen Abfallrecht seit Jahrzehnten geregelte Abfallhierarchie, der zufolge Recycling der Mehrfachnutzung nachgelagert sein soll, bislang kaum umgesetzt wird, wie der Projektleiter der Studie, Jürgen Bertling vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) erklärt.

Anreize für Mehrfachnutzung

Aus ihrer Untersuchung leitet das Autorenteam zwei zentrale Maßnahmen ab, die gleichermaßen Politik, Verbänden, den Herstellern von Kunststoffverpackungen und den Anbietern von Mehrweg-Poollösungen nahegelegt werden. Demnach sollten zum einen Wege zur konsequenten Umsetzung der Abfallhierarchie gefördert werden und Einwegsysteme erst dann zum Tragen kommen, wenn die Möglichkeiten der Mehrfachnutzung ausgeschöpft sind. „Dieses Ergebnis der Studie steht im Gegensatz zur heutigen Realität am Verpackungsmarkt“, macht Bertling ganz deutlich. Daher müsse es neue politische Rahmenbedingungen geben, die das Umgehen dieser Reihenfolge sanktionieren. „Gleichzeitig sollten Anreizsysteme für Unternehmen geschaffen werden, um vermehrt Mehrweglösungen für Kunststoffe zu etablieren, sagt der Wissenschaftler. Er fordert zudem eine Überprüfung der Abfallhierarchie durch ein Expertengremium und nachfolgend ihre strikte Umsetzung in der Praxis. Darüber hinaus halten es die Autoren der Fraunhofer-Studie für sinnvoll, weniger auf die Recyclingquoten zu schauen als vielmehr anspruchsvolle Rezyklatanteile in der Produktion vorzugeben.

Die zweite zentrale Maßnahme, welche die Forscher für notwendig erachten, sieht demnach vor, die vorhandenen Optimierungspotenziale für Mehrweglösungen auszuschöpfen, damit ihre Vorteile weiter ausgebaut und mögliche Defizite beseitigt werden. „Sicherlich sind auch bei den Mehrweglösungen noch zahlreiche Innovationen möglich, gerade im Online-Handel oder in der Take-away-Branche“, prognostiziert die Mitautorin der Studie, Kerstin Dobers vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Für sie zeichnen sich gute Lösungen dadurch aus, dass die Verpackungen modular sind und ihr Volumen reduzierbar ist. Hier seien Rahmenbedingungen für nationale und internationale Standardisierungen gefragt, um die ökologischen Potenziale der Mehrwegsysteme auszuschöpfen, fordert die Forscherin. Darüber hinaus votiert sie für eindeutige Umweltkennzeichen (Label) zur Kennzeichnung von Mehrweg und Einweg. Hier sehen die Verfasser der Studie vor allem die Verbände gefragt.

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